Als am 20.04.1909 die Weinbergschule als 2. Mittlere Bürgerschule in Meißen eingeweiht wurde, ahnte wohl keiner der Beteiligten, welch wechselhafte geschichtliche Ereignisse Schüler, Lehrer und Eltern im Laufe dieses jetzt zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts erleben würden.
Das selbstbwußte, einflußreiche Bürgertum am Anfang dieses Jahrhunderts wollte für seine Jugend auf der rechten Elbseite eine neue Bürgerschule erbauen, bedingt auch durch die Eingemeindung von Cölln zu Meißen.
Die städtischen Kollegien stellten auf dem alten Ratsweinberg Bauland für zwei Schulen zur Verfügung. Die neue Realschule (heute Hauptgebäude des Franziskaneums) war schon im Bau, als am 09.04.1908 auf einer Fläche von 5.300 m2 der Grundstein gelegt wurde. Bereits am 20.04.1909 stand das Haus zur Aufnahme der Schüler bereit.
Es entstand ein Gebäude – übrigens unter der Beachtung größter Sparsamkeit – das durchaus den heutigen architektonischen Bedingungen noch stand hält.
Ein großzügiger, klar gegliederter Bau, 900 m2, 60 m längs der Ludwig-Richter-Straße, Sockel-, Erd- und 2 Obergeschosse, ein geschwungenes Mansardendach, dessen Firstlinie von einem festen Eckturm durchschnitten wird. Ein weites, lichterfülltes Treppenhaus, helle Gänge im Innenbau, 16 Jklassenzimmer in Richtung Osten, entsprechende Nebenräume, eine Turnhalle, die zugleich Festraum sein sollte. (Bis in die 60er Jahre als Festraum genutzt.)
Auch die sanitären Anlagen entsprachen für damalige Zeiten modernen Ansprüchen.
Es war das schönste Schulhaus, das die 2. Mittlere Bürgerschule am 24. 04. 1909 bezog. 14 Lehrer, 508 Schüler – diese kamen vorwiegend aus dem gutsituierten Bürgertum, die das Schulgeld bezahlen konnten.
Die Geisteshaltung der Schule äußerte sich in einem vaterländischen, kirchlichen Grundton. „Thron und Altar“ war der Leitgedanke. In einem Programm vom Sedantag 1913 kann es jeder nachvollziehen. Während des 1. Weltkrieges wird die militärische Beeinflussung besonders stark gewesen sein. 1918 veränderet sich nach der Novemberrevolution der Inhalt der Schule, die Weinbergschule wurde allgemeine Volksschule in einem festen Schulbezirk.
Die kirchliche Schulaufsicht wich einem Streben nach neuen Formen und Inhalten im Sinne der Weimarer Republik.
Die Schüler würdigten in ihren Feiern und Schulaufführungen bedeutende Männer des deutschen Geisteslebens. Ein Chor wird gegründet, jährliche Höhepunkte sind Aufführungen zum Weuihnachtsfest.
Nach 1933 wird der Einfluß des Nationalsozialismus immer spürbarer. Offene militaristische Erziehung – „Charakterbildung“ nannte man es – die Körpererziehung wurde besonders gepflegt.
Der Name Weinbergschule wird preisgegeben: „Hans-Schemm-Schule“. Am 10. 04. 1940 muß die Schule geräumt werden. Die Wehrmacht übernimmt das Gebäude, die Schule wird Lazarett. Die Nachbarschulen übernehmen Lehrer und Schüler.
1945/46 begann eine neue, zunächst hoffnungsvolle Etappe der Weinbergschule. Die demokratische Schulreform setzte Akzente. Lehrer, die der NSDAP angehörten, wurden entlassen. Eine neue Generation von Lehrern kam in die Schulen – junge Menschen, vom Krieg gezeichnet, Soldat oder Arbeitsdienst – unterrichteten nach einer kurzen Ausbildung (Auch in der Weinbergschule gab es eine solche Ausbildung!) als Neulehrer an den Volksschulen, später Grundschulen. Die Weinbergschule wurde als 5. Grundschule eingeordnet.
Der überwiegende Teil der Neulehrer lernte und lehrte mit Begeisterung und persönlichem Engagement. Die Schüler nahmen diese Lehrer an. Ich selbst erlebte als Schüler die Neulehrer bis 1951. Es war eine wunderbare Zeit mit ihnen.
Die Weinbergschule wurde in der DDR-Zeit immer mehr geprägt durch die Ideologie des Sozialismus.
1949 wurde der Fachunterricht ab Klasse5 eingeführt. Fachräume wurden in den folgenden Jahren, vor allem in den 60er Jahren eingerichtet. Anfang der 60er Jahre wurde die Weinbergschule 10stufig und bis zur Wende 5. Oberschule genannt.
Eine Zwangsumbenennung mit einem politisch geprägten Namen, ohne Bezug zur Schule – Walter Hudecek(!) – scheiterte am Widerstand der Kollegen.
Im April 1959 beging man das 50jährige Jubiläum. Eine damals sehr geschätzte Lehrerin, Frau Herta Schönfeld, setzte ein Programm durch, das von humanistischem Gedankengut geprägt war.
Der Einfluß der Partei, der SED, wurde im Laufe der Jahre immer stärker. Es erforderte von den meisten Lehrern viel Kraft und Fantasie, den Schülern ein humanistisches Weltbild zu vermitteln.
Die berühmte „Nische“ in der DDR fand ich z. B. in einer Arbeitsgemeinschaft für Zeichnen. Ich freue mich, daß meine mit Schülern (zeitlos) gestalteten Wandbilder z. T. noch heute im Schulhaus zu sehen sind.
Am Gebäude nagte der Zahn der Zeit. In der „Mangelgesellschaft“ DDR konnte nicht alles instand gehalten werden. Noch nach der Wende wurden bauliche Maßnahmen durchgeführt.
Die Wendezeit 1989/90 war für mich eine der schönsten Zeiten an dieser Schule. Diese Aufbruchszeit beflügelte uns, endlich konnten wir offen über unsere Probleme sprechen, die Schüler begriffen das historisch besondere dieser Zeit.
Leider wurde die Weinbergschule mit dem Schuljahr 1991/92 geschlossen, Schüler und Lehrer in verschiedene Schulen versetzt. Die Weinbergschule wurde als Teilgebäude dem Gymnasium zugeordnet. Ab Februar 1993 führt das Gymnasium den Namen „Franziskaneum“.

Brigitte Stuhr
33 Jahre Lehrerin
für Geographie und Kunsterziehung
an der Weinbergschule Meißen (1999)